Die Legende des Bukephalos

Ausschnitt Mosaik Manchmal merkt man sich nicht nur den Namen des großen Feldherrn, der gerade sengend und brennend durch die heimischen Felder und Wälder zieht und eine Stadt nach der anderen seinem Reich hinzu fügt; man weiß sogar, wie das Pferd heißt, daß ihm bei seinen Eroberungsfeldzügen behilflich ist. Denn ohne Pferd, kein Feldzug.
Eines der berühmtesten Pferde, das es in die Geschichtsbücher geschafft hat, dessen Denkmäler man bis heute in diversen Städten der Welt bewundern darf und das bekannteste Pferd der Antike, war das Streitroß Alexanders des Großen.
Sein Name war Bukephalos, was mit „ochsenköpfig“ übersetzt wird und alleine schon bei der Frage, wie das Pferd wohl zu seinem Namen gekommen ist, kann man sich die Augen blutig recherchieren. Ich als Pferdemensch habe da allerdings eine ganz einfache Theorie, wie das Pferd zu seinem Namen kam:
Einerseits (aber unwarscheinlich, weil wenig edel) könnte die Kopfform ausschlaggebend gewesen sein. Dies möchte ich jedoch getrost gleich zu Beginn ausschließen. Es gibt zwar diverse Bezeichnungen, um eine besondere Kopfform eines Pferdes zu beschreiben, wie den Rams-, Keil-, Esels-, Schweins-, Hecht- oder Schafskopf, aber der Ochsenkopf ist nicht dabei. Ich würde allerdings auch den „Ochsenkopf“ ins Neudeutsche mit „dickköpfig“ übersetzen, wobei wir beim Charakter wären. Und da ist diese schöne Geschichte überliefert, daß niemand außer dem jungen Alexander das edle Roß zu reiten vermochte, da es wohl etwas starrsinnig, bzw. dickköpfig war:

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Die Zähmung des Bukephalos Eines Tages, irgendwann im 4. Jahrhundert vor Christus, soll ein Pferdehändler dem König von Makedonien Philipp II. ein besonders edles Roß zum Kauf angeboten haben. Der Händler wollte stolze 13 Talente für das edle aber eigenwillige Tier, auf dessen Rücken sich niemand von des Königs Männern halten konnte. Sobald sich jemand auf den Rücken des Pferdes schwang, stieg und buckelte es solange, bis es den Reiter wieder los wurde und der König fragte den Händler zurecht, was er denn mit so einem dickköpfigen Pferd anfangen und wofür er denn auch noch soviel Geld bezahlen sollte? Mit der Summe hätte er sein ganzes Heer ein Jahr lang verpflegen können.
Während die Männer noch diskutierten und verhandelten, hatte ein kleiner Junge von vielleicht zehn oder zwölf Jahren die ganze Szene beobachtet. Er hatte etwas genauer hingesehen und festgestellt, daß das Pferd jedesmal scheute, sobald es am Boden den gruselig, verzerrten Schatten von Pferd mit Reiter entdeckte. Da es damals ja noch keine pferdefressenden, achtlos weggeworfenen Plastiktüten gab, die so ein sensibles Pferdchen hätten erschrecken können, wenn sie lustig vom Winde verweht über den Boden tanzten, musste das ein oder andere Pferd eben mit dem eigenen Schatten vorlieb nehmen um sich gruseln zu können. So war es wohl auch damals.
Der kleine Junge war niemand geringerer als der Sohn des Königs, der nur wenige Jahre später als "Alexander der Große" in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Diese Geschichte, wie Alexander zu seinem Pferd kam, das ihn später in alle seine Schlachten begleiten sollte, hat mit zu seinem Mythos beigetragen.
Alexander ging auf seinen Vater und den Händler zu und bat, es auch versuchen zu dürfen. Der König war wenig begeistert. Seine besten Reiter hatten sich alle der Reihe nach mit der Nase im Staub liegend wiedergefunden und jetzt kam sein Junge daher und wollte es auch versuchen? Er schimpfte zuerst und meinte, Alexander solle gefälligst nicht so angeben. Aber der junge Prinz war sich seiner Sache sicher. Er ließ nicht locker, bis der Vater zustimmte. Er dachte sich vielleicht:
„Versuch macht klug“ oder „Aus Fehlern lernt man“ und bereitete sich schon mal mental darauf vor, seinen Sohn gleich ebenfalls durch die Luft segeln zu sehen. Doch mitnichten. Der Junge schwang sich nicht sofort wie alle anderen auf den Rücken des Pferdes. Zuerst stellte er sich mal vor, ließ sich beschnuppern, redete mit dem Pferd und drehte es dabei langsam ein wenig um seine eigene Achse, so daß das Sensibelchen jetzt gegen die Sonne schauen musste und seinen Schatten nicht mehr sehen konnte. Erst jetzt wagte er es, aufzusitzen. Er galoppierte der Sonne entgegen und ließ ihn sich austoben. Dabei sprach er unentwegt mit ihm, bis er sicher war, daß das Pferd ihm endlich vertraute. Als er nun wendete und zurück ritt, war der böse doppelköpfige Schatten kein Problem mehr. So betätigte sich schon mehr als zweitausend Jahre vor Pat Parelli ein kleiner Junge als Pferdeflüsterer, was sehr für seinen Charakter und sein Charisma sprach und wofür er auch mehr als genug bewundert wurde und trotzdem tat es ihm lange Zeit niemand gleich.
Als er wohlbehalten und erhobenen Hauptes mit dem Pferd wieder vor dem König stand, war dieser dann doch mittelmässig beeindruckt von seinem Sohn und soll gesagt haben:
„Mein Junge, such dir ein passendes Königreich, Makedonien ist zu klein für dich.“
Diesen Rat seines Vaters, der bis dahin schon fast die bekannte griechische Welt erobert hatte, soll der junge Alexander, kaum daß er sechzehn Jahre alt wurde, auch gewissenhaft beherzigt haben, wie uns die Geschichtsbücher zu berichten wissen. Ob der König nach der erfolgreichen Zähmung dem Pferdehändler doch noch den Wucherpreis von 13 Talenten bezahlte oder ob er ihn runter handeln konnte, ist nicht überliefert ... da müsste man noch mal genauer bei Plutarch nachlesen, aber der alte Grieche hat auch nicht immer die glaubwürdigsten Quellen für seine Erzählungen heran gezogen...
Die Verbindung aber zwischen Bukephalos und Alexander soll einzigartig gewesen sein. Das Pferd trug ihn später durch all seine Schlachten und niemand außer Alexander habe dieses Pferd jemals reiten dürfen. Wie genau das berühmte Pferd denn jetzt ausgesehen hat und ob es ein Hengst, Wallach oder vielleicht doch eine Stute war, ist leider auch nicht überliefert. Diejenigen von uns, die die Ehre haben, von Stuten als Lieblingsmensch auserkoren worden zu sein, wissen, daß der Name „Ochsenköpfig“ genauso gut, wenn nicht sogar perfekt auf eine Stute passen würde. Auch die Fellzeichnung bleibt ein Rätsel und auf vielen Abbildungen der Antike und dem Mittelalter, auf dem Bukephalos abgebildet wurde, entspricht seine (oder ihre) Farbe stets dem Zeitgeist und der Vorstellung des jeweiligen Künstlers. Einigen Quellen ist sogar zu entnehmen, daß Bukephalos ein Einhorn gewesen sein soll! Auf diversen Münzprägungen, die aus der Zeit Alexanders gefunden wurden, sieht es allerdings so aus, als hätte man dem Pferd zwei Hörner wie von einem Stier aufgesetzt.

Tetradrachme Silber, Pferd mit Reiter Goldmünze Tetradrachme Silber, Pferdekopf Mosaik aus dem Haus des Fauns in Pompeji Mosaik: gehörntes Pferd am Boden

Vielleicht gehörte der Hörnerschmuck zu seinem Zaumzeug. Vielleicht hat man, um seinen Charkter zu unterstreichen oder um das Pferd für die Schlacht gruseliger erscheinen zu lassen, ein paar Hörner, ähnlich eines Ochsen oder Stieres an sein Zaumzeug gebastelt.
Nicht wenige Feldherren schmückten sich mit Löwenköpfen und dergleichen also warum nicht auch sein Pferd bedeutungsvoll herausputzen und wenn es nur um die Erhaltung des Mythos geht. Auf den berühmten Resten eines Mosaiks, daß im Haus des Fauns in Pompeji entdeckt wurde, wird Bukephalos als Fuchs dargestellt. Allerdings fehlen an dem prunkvollen Zaum auf dieser Darstellung die Hörner. Wenn man sich allerdings das Gesamtkunstwerk genauer betrachtet, entdeckt man an einem Pferd, daß Alexander gerade zu Boden reitet, ein einzelnes Horn auf der Stirn. Da hätten wir ja das Einhorn – ist nur leider nicht Alexanders Pferd.
Künstlerische Freiheit führt dann doch öfter mal zu Verwirrung. Gerade bei historischen Darstellungen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schon so lange her sind, daß sie fast schon in das Reich der Legenden gehören, wird gerne mal etwas geschummelt. Auf vielen Gemälden und Bildern, die im Mittelalter oder sogar noch viel später entstanden sind, wird das Pferd auch schon mal als Rappe, Dunkelbrauner, Schecke oder als ziemlich dicker Schimmel (pausbackiges Barockpferd) dargestellt. Je nachdem, welche Form und Fellfarbe zu der Zeit gerade angesagt war und als chick galt.
Abbildung aus dem Peniarth Manuscript Ein unbekannter flämischer Künstler aus dem späten 15. Jahrhundert hat das Pferd ebenfalls mit zwei langen, spitzen Hörnern dargestellt, wobei das Tier auf dem Alexander da reitet, allgemein eher einer Ziege ähnelt als einem Pferd. Auch die anderen Reittiere auf dem Gemälde haben eine entfernte Ähnlichkeit mit fetten Frettchen. Nichts gegen den lange versorbenen Künstler, aber die ein oder andere anatomische Feldstudie wäre vor Anfertigung des Bildes hilfreich gewesen, denn auch die Reiter sitzen ihren Frettchen direkt im Nacken und nicht auf dem Rücken...
Am glaubwürdigsten sind dann wohl doch die alten Münzen, die die Zeit überdauert haben und auf denen Bukephalos eindeutig mit ein paar Hörnern abgebildet ist. Möglich, daß diese Hörner maßgeblich zu der Namensfindung beigetragen haben. Fragt sich nur: was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Der chicke Hörnerschmuck oder der Name? Man weiß es nicht. Was aber überliefert wurde, ist, daß das berühmteste Pferd der Antike, obwohl es ein Streitroß war und in so viele Schlachten gezogen ist, sehr alt geworden sein soll. Dreißig Jahre soll Bukephalos geschafft haben, bis er in Alexanders letzter und verlustreichster aber trotzdem erfolgreicher Schlacht am Hydaspes gegen den indischen König Poros beim Überqueren des gleichnamigen Flusses (Hydaspes) in den reißenden Fluten ertrunken ist. Standbild Die Zähmung des Bukephalos in Edinburgh Alexander war über den Verlust seines treuen Begleiters so betrübt, daß er ihn prunkvoll begraben ließ und ihm noch am Sterbeort ein Denkmal errichten ließ. Auf dem Schlachtfeld gründete er die Stadt „Alexandreia Bukephalos“. Diese Stadt existiert noch. Dabei handelt es sich um das heutige „Jhelam“ in der pakistanischen Provinz Punjab. Und auch der Fluß, in dem Bukephalos sein Leben ließ, trägt heute einen weniger griechisch klingenden Namen...
Nach Bukephalos´ Tod hat Alexander noch einige weitere Feldzüge geplant, aber nicht mehr durchgeführt und nur drei Jahre nach der Schlacht am Hydaspes starb auch Alexander mit nur 33 Jahren. Sein erstes Pferd war wohl auch sein Einziges und als das Dreamteam auseinander gerissen wurde, war es vorbei mit weiteren Eroberungen zu Pferd.
In Pakistan mag man sich heute nicht mehr an Bukephalos und seinen ambitionierten Reiter erinnern; dafür steht seit 1884 in Schottlands Hauptstadt Edinburgh ein Denkmal, daß den tierlieben Schotten von der Legende des Bukephalos und seiner Zähmung erzählt und wie dieses wundersame Tier tatsächlich ausgesehen haben mag, kann sich ja heute jeder so vorstellen, wie es ihm am besten gefällt.



Text: Nadja von der Hocht

Foto: Alexander und Bukephalos - Ausschnitt aus dem Mosaik aus dem "Haus des Fauns" in Pompeji
Berthold Werner, Public domain, via Wikimedia Commons

Foto: Die Zähmung des Bukephalos von André Castaigne (1888–1889)
Public Domain, Public domain, via Wikimedia Commons

Foto: Tetradrachme Silber, Pferd mit Reiter
Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Foto: Goldmünze
Uploadalt, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Foto: Tetradrachme Silber, Pferdekopf
Hartmann Linge, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Foto: Mosaik aus dem Haus des Fauns in Pompeji
Benjamín Núñez González, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Foto: Mosaik: gehörntes Pferd am Boden
Sailko, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Foto: Abbildung aus dem Peniarth Manuscript (Alexander zieht mit seinem Gefolge in Italien ein)
National Library of Wales, CC0, via Wikimedia Commons

Foto: Standbild "Die Zähmung des Bukephalos" in Edinburgh
Stefan Schäfer, Lich, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Common