Hoffnung für die Abaco-Wildpferde
Mit einem Klonprogramm soll die Rasse vor dem Aussterben bewahrt werden
Knapp 1.400 Kilometer östlich der Antillen erhielt am 8. September 1999 ein starker und
ausgedehnter Wirbelsturm von Meteorologen den Namen „Floyd“.
Noch war er relativ harmlos.
Doch am 11. September änderte Floyd die Richtung, gewann an Stärke und sollte seit Hurrikan Agnes,
der 1972 wütete, als tödlichster Hurrikan in die Geschichte eingehen, der jemals seit Beginn
der Aufzeichnung die Ostküste der USA heimgesucht hatte.
Am 13. September hatte sich Floyd zu einem stattlichen Kategorie-4-Hurrikan aufgebaut und am
14. September traf er mit voller Wucht Abaco-Island, eine Insel im Atlantik nördlich der Bahamas.
Auf seinem weiteren Weg über das Festland der USA bis nach Neuengland im Landesinneren richtete
er einen Schaden von über 4,5 Milliarden US-Dollar an und es gab 57 Tote zu beklagen.
Auf der Insel Great Abaco bedeuteten die Schäden die Floyd hinterlassen hatte im Nachhinein
den Todesstoß für eine ganz besondere Herde Wildpferde.
Die Abaco-Wildpferde – lange Zeit wußte niemand so genau woher sie kamen und warum sie da waren.
Sie lebten wild, frei und lange Zeit unbehelligt auf Abaco Island bis der Mensch sich erneut einmischte
und die Naturkatastrophe der stark geschwächten Herde letztlich dann ihr Schicksal besiegelte.
Die Abacos waren mal eine stolze Herde.
Bis zu 200 Pferde streiften durch die Tausende Morgen großen Kiefernwälder der Insel.
Wunderschöne Schimmel, Braune und Pintos.
Sogar die seltene White-Splash-Scheck-Zeichnung war unter ihnen zu finden.
1998 sahen einige Menschen mal genauer hin und kamen zu der Annahme,
daß diese Pferde dem Aussehen nach höchstwahrscheinlich Spanisches Blut besaßen.
Das war interessant genug, um sich eingehender mit der Geschichte der Wildpferde zu befassen
und man versuchte herauszufinden, woher sie ursprünglich stammten
und wie sie auf die Insel gekommen waren.
Mehrere im Jahre 2002 durchgeführte Gentests bestätigten,
daß in ihnen tatsächlich sehr altes Spanisches Blut floß und man registrierte sie als „Abaco Barbs“.
Man bezeichnet sie auch als „Abaco Island Horse“.
Diese Pferde, die so lange unbehelligt und fast vergessen auf der Insel lebten
waren von reiner kolonialer Abstammung und direkte Nachfahren der Pferde,
die zu Columbus Zeiten und vielleicht sogar vom Entdecker selbst in die neue Welt gebracht wurden.
Dieser Gedanke ist keinesfalls abwegig, denn Christoph Columbus hatte zwei Pferdefarmen auf Kuba.
Die Neue Welt ließ sich leichter zu Pferd erobern und reittechnisch musste ständig
für Nachschub gesorgt werden, denn vor der Eroberung durch die Spanier waren die dem unseren
Reitpferd ähnlichen Equiden in Amerika schon lange ausgestorben.
Eine in Kuba ansässige Holzfällerfirma brachte einige ihrer Arbeitspferde Ende des 19. Jahrhunderts
auf die Insel, wo sie lange Zeit in der Forstarbeit eingesetzt wurden.
In den 1940er Jahren kam die Industrialisierung auch auf Great Abaco an und
die Holzunternehmen ersetzten ihre Pferde durch Traktoren.
Bequemerweise entließ man die Tiere einfach in die Wildnis und überließ sie sich selbst
ohne sich weiter um sie zu kümmern.
Man hat wohl nicht erwartet, daß die domestizierten Arbeitspferde nach einem Leben in
menschlicher Obhut ganz allein auf sich gestellt in der Wildnis überleben würden,
doch das taten sie.
Die Pferde der Spanischen Conquistadores waren robust und so gezüchtet um lange Seereisen
und raue Lebensbedingungen überstehen zu können.
Die schattigen Kiefernwälder waren das reinste Paradies für ihre Nachkommen und die verwilderte
Herde blühte auf.
Sie fanden in den Wäldern Schutz vor der Sonne, Nahrung und Wasser und nur wenige Exemplare
gingen der Herde verloren, die von Bewohnern der Nachbarinseln für die Arbeit in den
Zuckermühlen wieder eingefangen wurden.
Die erste große Katastrophe ereilte die Herde in den 1960er Jahren in Form einer Straße,
die die komplette Insel von einem Ende zum anderen in zwei Hälften teilte.
Für den Bau wurde ein Großteil des schützenden Kiefernwaldes gerodet,
die Pferde verloren ihren gewohnten Lebensraum und plötzlich hatten wieder Menschen Zugang
zu den vorher menschenleeren Gegenden, in denen die Herde so lange unbehelligt leben durfte.
Die Menschen machten sich einen Spaß daraus, die Pferde mit ihren Autos so lange zu jagen,
bis sie sich bequem vom Wagenfenster aus mit einem Seil einfangen ließen,
oder bis die unbeugsameren von ihnen vor Erschöpfung tot zusammenbrachen.
Die Krönung des Ganzen war, wie die Menschen auf einen Unfall reagierten,
als ein kleines Kind unbeaufsichtigt versuchte, eines der gezähmten Wildpferde zu reiten
und dabei tödlich verunglückte.
Den Leuten fiel nichts Besseres ein, als sich für den Tod des Kindes an der ganzen Herde
„rächen“ zu müssen und so veranlassten sie eine Massenschlachtung.
So kam es, daß diese wertvolle Herde, die so lange alleine und unberührt durchgehalten hatte,
Anfang der 1970er Jahre das erste Mal um ein Haar ausgestorben wäre.
Nur drei Exemplare entkamen dem Massaker.
Sie hatten Glück und fanden ein neues Zuhause auf der Farm des früheren Senators Edison Key,
der beim Abräumen seines Farmlandes auf Unmengen von Kadavern und Pferdeknochen stieß.
Er Empfand die Behandlung, die man den Pferden zukommen ließ als nicht richtig und veranlasste,
die letzten überlebenden Pferde auf seiner Farm in Sicherheit zu bringen.
Hier teilten sie sich den Schutz und das Futter mit den übrigen Farmtieren und vermehrten sich
sogar wieder.
Sobald die kleine Herde auf zwölf Exemplare angewachsen war, entließ man sie wieder in den Kiefernwald.
Bis zum Jahr 1992 war die Herde langsam auf 30 Exemplare angewachsen.
Sie pendelten zeitweise zwischen dem Wald und dem Hof auf der Farm.
Die meiste Zeit aber blieben sie für sich… und dann kam Floyd!
Der Hurrikan verwüstete die Insel und richtete große Schäden an.
Die Wälder waren nicht mehr sicher und so brachte man die Herde zu ihren Schutz zurück auf die Farm.
Man hatte es gut gemeint.
Doch hier waren die Pferde auch nicht sicher.
Viel zu spät bemerkte man, daß der Boden, verursacht durch die Zerstörungen,
durchtränkt und verseucht war von einer Vielzahl verschiedenster Chemikalien wie Pestiziden
und anderer synthetischer Giftstoffe.
Die Pferde weideten das Gras, daß auf diesem Boden wuchs, wurden krank und bekamen keinen Nachwuchs
mehr.
Nach vier Jahren ohne neue Fohlen, begannen die Menschen endlich zu begreifen,
daß da etwas nicht stimmte.
Die Pferde mussten runter von diesem Land und nach langen, bürokratischen Kämpfen konnte bei der
Regierung der Bahamas durchgesetzt werden, einen großen Teil des Landes auf der Insel für die Pferde,
ebenso wie für verlassene Hunde und Katzen für ein Naturschutzgebiet zur Verfügung zu stellen.
Die Situation der Pferde war ernst und besorgniserregend.
Die Zukunft sah nicht rosig aus.
Doch endlich fanden sich Menschen, denen das Wohl der Tiere und das Weiterbestehen der Rasse
am Herzen lag.
Es wurden Vorstände und Direktoren ernannt, die die Interessen der Pferde zu wahren hatten.
Es wurden Pläne geschmiedet, um den Erhalt der Rasse zu garantieren.
2004 brachte man alle Stuten und einen Hengst in ein eigenes Reservat in ihrem alten Lebensraum,
den Kiefernwald.
Doch die Todesfälle rissen nicht ab.
Die Pferde verletzten sich im Wald oder an Trümmern, die der Hurrikan zurück gelassen hatte.
Sie starben an den Verletzungen oder an Infektionen, obwohl man versuchte,
sie so gut es ging medizinisch zu versorgen.
Am Ende war nur noch eine einzige Stute übrig.
Ihr Name war „Nunki“.
Auf ihr ruhten alle Hoffnungen.
Sie sollte das Überleben der Herde sichern.
Doch auch sie wurde krank.
Man versuchte alles um sie zu retten und obwohl es für kurze Zeit so aussah,
als würde sie sich erholen, verlor die Welt die letzte reinrassige Abaco-Stute am 23. Juli 2015.
Mit ihrem Tod gilt die Rasse offiziell als ausgestorben.
Doch die menschlichen Hüter der Herde wollen nicht aufgeben.
Sie wollen alles tun, um die seltene Blutlinie zu bewahren.
Denn es glimmt noch ein Funken Hoffnung:
Am Tag ihres Todes wurden Nunki lebende Eizellen entnommen und in einem Labor in Texas in
Sicherheit gebracht.
Dort wurden sie vermehrt und warteten lange Jahre auf die Erlaubnis der Behörden mit Nunkis´
Erbmaterial ein Klonprogramm starten zu dürfen.
Diese Erlaubnis ist endlich da!
Wenn alles gut geht, sollen aus Nukis Zellen zwei Klone entstehen,
die den Fortbestand der Rasse in ihrer Reinheit sichern sollen.
Wir blicken mit Spannung auf Great Abaco und wünschen viel Erfolg und alles Gute.
Text: Nadja von der Hocht
Fotos: Screenshots aus dem verlinkten YouTube-Video
Video: Abaco Barb Trailer
https://www.youtube.com/watch?v=lKyOg1JRzdI
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