Reitunterricht

Vom Reitschüler zum Pferdemenschen


Nadja und Divette „Zehen nach vorne und die Hacken runter! Denk an den Schenkelschluss und setz dich gerade hin! Fall beim Leichttraben nicht dauernd nach vorne und laß dich nicht so in den Sattel plumpsen! Mach nicht so ein Hohlkreuz! Du hast schon wieder die Hacken oben! Runter damit! … und lächeln! Reiten macht Spaß!!“
So oder so ähnlich schallt es in aller Welt von den meisten Reitplätzen. Mit hochrotem Kopf, verbissenem Gesicht und mehr oder minder verkrampften Gliedmaßen versuchen die ehrgeizigen Schüler dann allen zugerufenen Kommandos möglichst zeitgleich nachzukommen, was nur selten sofort gelingt, da das Reittier unterm angestrengten Popo meist ganz andere Vorstellungen davon hat, wie so ein Reitunterricht abzulaufen hat und zu allem Überfluss auch noch eine eigene Sportart daraus gemacht zu haben scheint, seinen Reiter blöd aussehen zu lassen – jedenfalls drängt sich als verzweifelter Reitanfänger des Öfteren dieser Eindruck unweigerlich auf.
Ein Glück, wenn man schon als Kind oder noch als elastischer Teenager gelernt hat, möglichst elegant mit den fließenden Bewegungen eines Pferdes zu verschmelzen, denn auf einem schwingenden Pferderücken das eigene Gleichgewicht zu halten, das Tier gleichzeitig zu lenken und dabei auch noch vornehm rüber zu kommen, scheint für Anfänger, egal wie alt, oft ein unmöglich umzusetzendes Unterfangen zu sein.

Anzeige

Gemüserunde Nicht nur das lange vernachlässigte Körpergefühl kann beim Reiten trainiert werden, auch der Umgang mit den eigenen Emotionen wird plötzlich zu einem großen Thema, wenn das sture Reitpony nach zehn Minuten keine Lust mehr auf seinen Reitschüler hat und, um die Sache zu beschleunigen, ständig versucht, die Bahn abzukürzen oder, um den Unterricht etwas spannender zu gestalten, anfängt, unvermittelt ein paar Hüpfer in den „Schütteltrab“ mit einzubauen.
Wenn man das Pferd partout nicht dazu bekommt, das zu tun, was man ihm aufgetragen hat, und vor allem, was der Reitlehrer von einem sehen will, liegen die Nerven alsbald ziemlich blank.
Die Reitkunst ist deshalb so viel mehr, als bloße Akrobatik. Viele vergessen, oder kommen erst gar nicht auf den Gedanken, daß Reiten ein Teamsport ist und der Trainingspartner mit den vier Beinen gerne mal mitbestimmt wo es lang geht, auch wenn ihm viele Reiter genau das nicht zugestehen wollen. … oder ihnen beigebracht wurde das nicht zu erlauben.
Dabei ist der Umgang mit dem beseelten und manchmal ziemlich eigenwilligen 500-Kilo-Sportgerät die Paradedisziplin überhaupt und sollte noch vor dem Putzen, Satteln und Reiten auf dem Lehrplan stehen. Bei vielen jungen Pferdemenschen kann man beobachten, daß sie nichts weiter als Reiten im Kopf haben, sobald sie ein Pferd sehen und daß alles, was vorher noch zu erledigen ist, eher als lästig empfunden wird.
Da wird dann das Pferd aus der Box gezerrt, angebunden, drüber geschrubbt, Sattel drauf, aufgezäumt, aufgesessen und ab geht’s zum Reiten. Nach dem Unterricht wird eventuell noch selbst abgesattelt aber meist kümmert sich dann schon jemand anderes um das Pferd. Also Strick abgeben und weg – sonst kommt man noch zu spät zum nächsten Termin. (Ballett- oder Geigenunterricht und die Hausaufgaben sind auch noch nicht erledigt…)
Da darf man sich nicht wundern, wenn der equine Sozius keine Ambitionen zur Mitarbeit zeigt. So ein Pferd merkt sich, ob es vor Arbeitsantritt von seinem Teamkollegen erst mal anständig begrüßt wurde oder nicht. … und damit ist nicht gemeint, ihm sinnbefreit säckeweise Möhrchen in den Schlund zu stopfen. Auch ist ein Pferd kein alter Teppich, dem man mal schnell den Staub aus den Poren klopft bevor man es wieder in die Montur zwängt. Putzen und Striegeln dient nicht nur der Reinigung des Fells und sollte sich nicht bloß auf die Sattellage beschränken.
Das Putzen ist DIE Gelegenheit, sich mit dem Pferd, daß man gleich reiten will vertraut zu machen, während man sanft die Reste des letzten Sandbades aus dem Fell massiert. Natürlich bringt der Lehrer seinem Schüler bei, welcher Striegel wofür und wie angewendet wird, aber alleine herauszufinden, wo das Pferd eventuell kitzelig ist, wo es lieber gar nicht berührt werden will und an welchen Stellen es besonders gerne gekrault wird, macht viel mehr Spaß und vertieft die Bindung zwischen Pferd und Reiter.
Es heißt zwar: „Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“, aber alles Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde … und zwar mit beiden Füßen fest auf selbiger… jedenfalls für den Anfang. Denn die Annäherung ans Pferd und auch an den Sport sollte immer erst am Boden stattfinden. Sich einander vorstellen, sich gegenseitig kennenlernen und – ganz wichtig! – erst einmal herausfinden, ob man sich überhaupt leiden kann. Nur weil einem die hübsche Fellfarbe seines auserwählten Zossen so gut gefällt, heißt das nicht automatisch, daß einem auch der Charakter speziell dieses Pferdes zusagt.
Ja, Pferde haben so etwas wie einen Charakter und sogar eine ganz individuelle Persönlichkeit und auch sie urteilen über uns. Beim ersten Beschnuppern wissen sie sofort, ob sie uns leiden können oder nicht. Eine Eigenschaft, die uns Menschen verloren gegangen ist, besonders, weil wir unseren eigenen speziellen Körpergeruch gerne mit Deo und Parfüm verfälschen. Aber mit solch simplen Tricks lässt sich ein Pferd nicht täuschen. Sie sehen dir mit einem Blick in die Seele und erkennen gleich, welcher Typ Mensch du bist:
ein Pferdemensch oder einer von den Anderen.
Aber auch als freundlich gesonnener Pferdemensch kann man leicht auf Abwege geraten, wenn man die falschen Leute bewundert und sich selbst keine Gedanken macht, ob das auch wirklich alles so richtig sein kann, was mir da gerade beigebracht wird oder was ich mir da von den älteren und erfahreneren Reitern abgeguckt habe. Wobei an dieser Stelle bemerkt werden darf, daß ein Reiter nicht gleich automatisch auch ein Pferdemensch ist … kleiner Anreiz zum Nachdenken.
Trotz alledem: Reitunterricht ist wichtig. Allein schon um nicht versehentlich mit der ein oder anderen ungeschickten Bewegung auf dem Pferderücken selbigen zu verletzen. Man lernt ja nicht nur sein Pferd durch die Gegend zu lenken und wie man von einer Gangart in die Nächste kommt, man trainiert zu aller erst seinen eigenen Körper zu kontrollieren und zwar auf einem wackeligen anderen Körper, meist mehr als anderthalb Meter über dem Boden. Sein Gleichgewicht zu halten, ohne sich mit den Händen irgendwo festzuhalten, was ja meist der erste Impuls ist, wenn sich unter einem plötzlich irgendwas bewegt, ist schon schwierig genug und setzt ein großes Maß an Vertrauen für sein Reitpferd voraus … wobei wir wieder beim Umgang wären.
Leider lassen sich all die gut gemeinten Ratschläge zum Thema Umgang und Freundschaft zu seinem Pferd im normalen Reitunterricht kaum umsetzen. Die Zeit ist knapp bemessen und mit den meisten Schulpferden lässt sich kaum eine Verbindung aufbauen, weil ständig jemand anderes auf ihnen herum turnt.
Deshalb geht mein Appell an die wenigen privilegierten Reitmädchen (meist sind es Mädchen), die es tatsächlich geschafft haben, ihre Eltern dazu zu bewegen ihnen ein eigenes Pony in den Stall zu stellen:
Behandelt euer teures, hochgezüchtetes Sportpferd nicht wie euer Fahrrad, das ihr letzte Weihnachten geschenkt bekommen habt, seitdem dreimal damit um den Block gefahren seid und das jetzt im Keller Staub ansetzt: Aufsitzen, benutzen, wegstellen und auf dem Weg zu neuen Taten keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Macht das nicht. Geht bitte ein bis zwei Stunden vor Unterrichtsbeginn in den Stall. Besucht euer Pferd! Kümmert euch! Lernt alles über Futtermittel, Umgang, Unterbringung und überhaupt alles, was es über Pferde zu lernen gibt. Und das ist eine Menge! Werdet Freunde! Beschäftigt euch am Boden mit eurem neuen Freund, lernt seine Sprache, genießt die Zeit zu zweit. Wenn ihr eines Tages feststellt, daß die gemeinsame Zeit, die ihr auf Augenhöhe miteinander verbringt, mit allen sechs Füßen am Boden, erfüllender ist, als die Zeit im Sattel, seid ihr tatsächlich echte Pferdemenschen.



Text: Nadja von der Hocht
Fotos: von der Hocht Mediendesigh