Wenn das Kopfkino mitreitet
... und das Pferd mit im Kino sitzt
Ich wußte, daß ich gerade im Begriff war, einen gewaltigen Fehler zu machen und trotzdem ritt ich mit offenen
Augen ins Verderben, weil ich mal wieder fälschlicher Weise annahm, alle anderen seien schlauer als ich...
und weil ich gefallen und mir keinen Blöße geben wollte... saublöde Idee!
Ich ritt eine Stute, die ich im Gelände genau einschätzen konnte und deren Körpersprache ich gut zu lesen vermochte.
Um so dümmer war es von mir, ihre Signale zu ignorieren, nur weil jemand anderes, der weder Pferd noch Platz kannte,
sehen wollte, wie sie sich so unterm Sattel benimmt.
Vielleicht sollte ich noch vorraus schicken, daß ich unterschwellig diesen Platz nicht leiden kann und so gut wie
nie darauf reite.
Wozu auch, wenn man die schönsten Reitwege vor der Tür hat?
Dazu kommt, daß ich schon des öfteren beobachtet habe, wie unsere chilligsten Schulpferdchen immer an der selben
Stelle entweder Standbild spielen, verweigern oder sogar versuchen, ihre Reiter ganz schnell los zu werden,
um in Ruhe abhauen zu können.
Bei der Ursachenforschung kamen vielerlei Ursachen zu Tage, die sich alle nicht abstellen lassen,
wie zum Beispiel Schlangen im Gebüsch, Radfahrer die aus selbigem rausgeschossen kommen, um den Weg durchs
Wäldchen an unserem Platz vorbei abzukürzen und nicht wenige Spaziergänger und Gassigeher, die mit ihren oft
unangeleinten Vierbeinern urplötzlich aus dem Gestrüpp auftauchen.
Bei Letzteren ist regelmässig Rodeo angesagt und das wo wir alle keine Westernreiter sind...
Lange Rede kurzer Unsinn: gleich in der ersten Kurve ging es schon los.
Der Sturz aus meiner Sicht war sehr spannend zu beobachten, weil wieder alles irgendwie in Zeitlupe ablief:
sie hat nicht bloß gescheut.
Sowas lässt sich aussitzen.
Nein, sie wollte mich unbedingt loswerden um entlastet wegrennen zu können und alles Kämpfen nützte nichts.
Erst dachte ich noch, ich würde es schaffen, oben zu bleiben und ich beobachtete gespannt, wie sich mein Knie
am Wiederrist festkrallte um dann doch abzurutschen.
Ich blieb noch mit einem Fuß im Steigbügel hängen (mit ein Grund, warum ich bockige Pferdchen, die einen gerne
mal unverhofft absetzen, seit dem lieber mit Pad reite),
bewunderte kurz die Arbeit des Hufschmieds von unten und landete mit einem dumpfen Klatschen im Sand.
Die Wut über mich selbst und die Schmach einen weiteren Sturz in mein Kerbholz ritzen zu können,
überlagerten eine Weile die Schmerzen in Rücken und dem gezerrten Fußgelenk, die erst am nächsten Tag so
richtig einsetzten.
Zum Glück ist nicht viel passiert, außer, daß ich wieder um eine Erfahrung reicher war:
schalte das verdammte Kopfkino aus, bovor du auf ein Pferd kletterst!
Es gab nämlich keinen Grund für sie auszuflippen.
Wir waren ungestört.
Keine Menschen, keine Hunde, keine Geräusche, keine Gerüche, nur die Bilder in meinem Kopf, die ich auf dem Weg
in die erste Kurve ungebremmst abspulte und die sie schon beim Aufsitzen empfangen hat.
Bildern von knackenden Radfahrern, ungezogenen Hunden, sich windenden Schlangen und Wiederholungen in Farbe von
vergangenen Stürzen oder Beinahe-Unfällen und natürlich die daraus resultierende verkrampfte Haltung, die mein
Sensiblechen auch durch den Sattel spürte.
Glaubt es oder nicht, aber es gibt Pferde, die sind im Rücken so sensibel, die merken sogar durch den Sattel
noch vor dir selbst ob du mal pinkeln musst!
An diesem Tag hat meine equine Freundin ungefiltert jedes Bild und jedes ungute Gefühl in 4K-Auflösung empfangen
und damit habe ich ihr so große Angst eingejagt, daß sie mir nicht mehr vertraut hat und dieses unausgeglichene,
unberechenbare Raubtier auf ihrem Rücken (mich) unbedingt loswerden musste.
Weil ich das weiß, war ich ihr für den Bocksprung auch nicht böse, sondern habe mich später ausgiebig bei ihr
entschuldigt, dafür daß ich mal wieder nicht mit reinen Gedanken und wider besseren Wissens mit ihr arbeiten wollte.
Ich weiß, daß ich damit nicht alleine bin.
Das ist ein weit verbreitetes Problem von schon erfahrenen und älteren Reitern bzw. Reiterinnen, die es nur schwer
bis gar nicht schaffen, alte und schlechte Erfahrungen auszuschalten oder abzuschütteln bevor sie den Stall betreten.
Der Mensch lernt aus Erfahrungen und will vergangene Fehler nicht wiederholen, weshalb er dauernd daran denkt.
Und genau das muß man abstellen. Das ist leichter gesagt als getan, denn es bedeutet unglaublich viel Kopfarbeit
und Gelassenheitstraining mit sich selbst und wer beschäftigt sich schon gerne mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten?
Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Pferde leben im Hier und Jetzt.
Sie erinnern sich zwar auch an bestimmte Dinge und können Traumata durch schlechte Erfahrungen erleiden,
aber sie denken nicht ständig an die gruselige Situation von letzter Woche, wenn sie heute mit dir an einem ganz
anderen Ort zusammen sind.
Sie konzentrieren sich auf dich und sie können uns besser lesen und verstehen, als wir sie, weshalb man IMMER auf
seine Stimmung und seine Gedanken achten muß, wenn man mit einem Pferd zusammen ist.
Sie blicken direkt in deine Seele.
Das ist auch der Grund, warum manche Pferde auf verschiedene Menschen unterschiedlich reagieren.
Manche Menschen sind aus Pferdesicht schlichtweg gruselig und andere wiederum sind natürliche Pferdemenschen
und das Pferd fasst sofort vertrauen. (Beneidenswert, wenn man so veranlagt ist)
Also Hausaufgabe für alle Pferdefreunde: kontrolliere deine Tagesform, Stimmung und Laune, bevor du dein Pferd
besuchst oder dich gar hinaufschwingen willst.
Komme mit reinen Gedanken und „rebootet“ zum Pferd, denn dem Wundertier Pferd kannst du nichts vormachen.
Es hat dein Auto schon von weitem gehört und weiß genau wie du drauf bist, noch bevor du um die Ecke gekommen bist.
Jeder Tag ist ein neuer Tag und die Probleme von Gestern bleiben bitte auch im Gestern.
Ich weiß, es ist nicht leicht und ich arbeite auch immernoch jeden Tag an meiner inneren (Un-)Ruhe aber wir können
es schaffen, denn wir wissen ja jetzt wie es geht: schalte das Kopfkino aus!!
Text & Grafik: Nadja von der Hocht